König und Hirte
Selbst wenn ich durch ein finsteres Tal gehen muss, wo Todesschatten mich umgeben, fürchte ich mich vor keinem Unglück, denn du, Herr, bist bei mir! Dein Stock und dein Hirtenstab geben mir Trost. (Psalm 23,4)
Psalm 23 – den musste ich in der 6. Klasse auswendig lernen. In jeder Religionsstunde sollen wir aufstehen und die sechs Verse im Chor vortragen. Ich habe den Text damals immer nur so vor mich hingemurmelt, ohne seine Bedeutung wirklich zu verstehen. Aber heute bin ich dankbar, dass ich Psalm 23 immer noch auswendig kann.
Jeder dieser Verse hat meiner Meinung nach eine bemerkenswerte Botschaft, aber Vers 4 ist für mich der Höhepunkt des Psalms. Diese Zusage ist ein Anker in Zeiten, in denen wir uns so fühlen, als ginge es weder vor noch zurück. Wenn alles ausweglos erscheint und wir uns fragen, warum Gott diese schweren Zeiten in unserem Leben zulässt. Was David hier schreibt zeigt: Gott schaut nicht von oben zu, wie wir uns durch das Tal des Todesschatten kämpfen, sondern er geht mit uns. Er ist immer an unserer Seite.
Ich habe mich oft gefragt, warum David hier von „Stecken und Stab“ spricht, für mich war beides immer das gleiche. Tatsächlich aber haben die Worte im Hebräischen zwei unterschiedliche Bedeutungen. So war das hebräische Wort für Stecken eine Bezeichnung für etwas, das ein König oder ein Herrscher bei sich trug: Ein Mittel um seine Untertanen zu züchtigen oder auch eine Waffe im Krieg.
Was im Deutschen mit Stab übersetzt wird, kommt im Hebräischen von „stützen“ oder „lehnen“. Es ist das Wort für den Stock, den der Hirte als Gehhilfe bei langen Wanderungen bei sich trägt. Es ist auch der Gegenstand, mit dem er die Schafe wieder auf den richtigen Weg zurückziehen kann oder sie vor Raubtieren beschützt.
In dem Ausdruck steckt also ein wunderbares Bild. Gott ist einerseits unser König, der uns zurechtweist, wenn wir es brauchen, der uns leitet und führt, auch in schwierigen Zeiten. Andererseits ist er ein liebevoller Beschützer, der uns begleitet und den richtigen Weg zeigt.